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Meine
Stellungnahme zu Irinotecan:
Köln, den 16.04.2004
An das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
Geschäftsstelle Kommissionen (111) Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3 53175 Bonn
Betr: Aufbereitung zu Irinotecan bei der Behandlung des kleinzelligen
Bronchialkarzinoms
Sehr geehrte Damen und Herren,
Am 08.04.2004 wurde auf der web-site des BfArM publiziert:
Die beim BfArM eingerichtete Expertengruppe Off-Label hat eine
Aufbereitung zu Irinotecan bei der Behandlung des kleinzelligen
Bronchialkarzinoms veröffentlicht[1]. Kommentare interessierter
Fachkreise sind bis zum 7. Mai 2004 möglich [2].
Fazit der Aufbereitung:
„Irinotecan ist nach dem aktuellen Stand des medizinischen
Wissens eine wirksame Substanz beim kleinzelligen Bronchialkarzinom. Der Einsatz
muss unter Beachtung folgender Bedingungen erfolgen:
1) Bisher wurde nur in einer Phase-III-Studie eine
Überlebenszeitverlängerung in der Kombination Irinotecan/Cisplatin
gegenüber Etoposid/Cisplatin bei unvorbehandelten Patienten im Stadium
extensive disease gezeigt.
2) Der Patient muss in einem ausreichend guten Allgemeinzustand sein
(PS ECOG 0-1).
3) Der Patient kann oder will nicht an den laufenden klinischen
Studien eilnehmen. 4) Der behandelnde Arzt hat ausreichende Erfahrung in
der Anwendung von Irinotecan.
5) Der Patient ist über die Vor- und Nachteile der Therapie
einschließlich der jetzigen Erkenntnisse zum Nebenwirkungsspektrum
aufgeklärt.“
Hiermit erhebe ich Bedenken zur veröffentlichten Aufbereitung,
insbesondere:
1)
Literatur:
Aus dem Aufbereitungsbericht ist zu entnehmen:
„Thomas M., Baumann M., Deppermann M., Freitag L., Gatzemeier
U., Huber R., Passlick B., Serke M., Ukena D.: Empfehlungen zur Therapie
des Bronchialkarzinoms. Pneumologie 2002; 56: 113-131.
kein Übersichtsartikel; weshalb sollte gerade diese Arbeit zitiert
werden??? [3]“
Ich schließe mich dieser offensichtlichen Eigeneinschätzung des
„Arbeitsausschuss Bronchialkarzinom“, Autoren der
Aufbereitung, an. Diese Literatur stellt zwar den Stand des Wissens 2002
zur Behandlung des Bronchialkarzinoms dar, belegt aber das
Fazit der Aufbereitung nicht.
Es ist für mich unverständlich, wieso von „extensive
disease“ gesprochen wird. „State of the art“ ist
eine Klassifikation nach dem „international staging system“,
wie es auch in o.a. Literatur [4] beschrieben wird. Inkonsequenz diese
Art lässt befürchten, dass es auch ansonsten an der notwendigen Sorgfalt
mangelt.
2) Recherche:
Die Datenbankrecherche wurde offensichtlich nur in Pubmed (Medline),
Cancerlit (jetzt ebenfalls in Pubmed integriert) und Embase“
durchgeführt. Dies ist als Datenbasis zu schmal. Es ist wohl davon
auszugehen, dass ein „advanced retrival“, z.B. in dem
Datenbankcluster des DIMDI, deutlich mehr zu Tage fördern würde. Es
fällt daher auf, dass es sich laut Literaturverzeichnis zum
beurteilten Irinotecan beim kleinzelligen Bronchial-Ca ausschließlich um
Arbeiten aus Japan handelt, die im europäischen/amerikanischen Raum nicht
reproduziert sind. Vorliegende ältere Studien wurden nicht einbezogen
[5],[6],[7].
Dies wird auch von anderen Autoren zu den herangezogenen Studien kritisch
angemerkt:
During the 1990s, several new chemotherapy agents have displayed
activity in small-cell lung cancer. The majority of studies with irinotecan have been conducted in Japan. The US experience is limited to a single
multi-institution trial that was conducted in patients with previously
treated small-cell lung cancer. A total of 44 patients were entered in
the study. Patients were stratified by response to prior therapy.
Responses occurred in 7 of 44 patients for an overall response rate of
14%. The overall median survival was 4.8 months [8].
3) Die Würdigung der Studien scheint einseitig:
Das Ziel der randomisierten Phase III-Studie von Noda und
Mitarbeitern war der Vergleich der Wirksamkeit der Kombination
Irinotecan (einem Topoisomerase-I-Inhibitor) plus Cisplatin mit einer
Standardkombination Cisplatin/Etoposid. Der primäre Endpunkt der Studie
war das Gesamtüberleben. Die Studie wurde im November 1995 gestartet.
Die avisierte Patientenzahl betrug n = 230. Eine erste Interim-Analyse
im August
1998 ergab einen signifikanten Unterschied in der Überlebenszeit. Die
daraufhin vorgezogene zweite Interim-Analyse im Dezember 1998 bestätigte
den signifikanten Unterschied in der Überlebenszeit zwischen den beiden
Behandlungsgruppen. Deshalb wurde die Studie im Januar 1999 vorzeitig
beendet.
Entsprechend der endgültigen Analyse im März 2001 betrug die mediane
Überlebenszeit:
12,8 Monate in der Irinotecan/Cisplatin-Gruppe gegenüber
9,4 Monaten in der Cisplatin/Etoposid-Gruppe (p = 0,002).
Das relative Sterberisiko in der Irinotecan/Cisplatin-Gruppe betrug
bezogen auf die Cisplatin/Etoposid-Gruppe 0,60 (0,43 – 0,83,
95%-Vertrauensintervall). Die hämatologische Toxizität war in der
Cisplatin/Etoposid-Gruppe deutlich stärker ausgeprägt. Eine Diarrhoe Grad
3/4 trat bei 16% der Irinotecan/Cisplatin-therapierten Patienten auf. Die
Ergebnisse der Studie von Noda und Mitarbeitern sind zweifelsohne beeindruckend.
Der Unterschied von 3,4 Monaten in der medianen Lebenszeit gewinnt
insbesondere dann an Bedeutung, wenn man sich die Therapieerfolge der
letzten 20 Jahre vor Augen führt. Die Auswertung von 21 Phase-III-Studien
beim metastasierten SCLC ergab im Zeitraum 1972 – 1981 eine MST von
7,0 Monaten und im Zeitraum 1982 – 1990 eine MST von 8,9
Monaten, somit eine weniger als 2-monatige Verbesserung der MST innerhalb
von 20 Jahren.
Die Autoren beschreiben folgende Limitationen ihrer Studie:
– Eine geplante zweite Randomisation bzgl. des Stellenwertes
einer nachfolgenden adjuvanten Radiotherapie wurde wegen geringer
Rekrutierung abgebrochen.
– Die geplante Studie zur Lebensqualität wurde nicht
abgeschlossen.
– Die Informationen
zur Second-line-Therapie im Falle der Tumorprogression bzw. des
Tumorrezidivs waren nicht vollständig verfügbar.
– Selbstverständlich
muss versucht werden, diese Ergebnisse aus der Noda-Studie in
anderen Studien zu bestätigen, bevor Irinotecan/Cisplatin zum neuen
Standard in der Chemotherapie des metastasierten SCLC erhoben werden kann
[9].
In den letzten 2 Jahrzehnten konnte durch eine Reihe randomisierter
klinischer Studien belegt werden, dass eine Kombination aus
Chemotherapie mit Strahlentherapie die Behandlungsergebnisse beim
nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom gegenüber einer alleinigen
Strahlentherapie moderat verbessern kann. Insgesamt 22
randomisierte Studien mit mehr als 3000 Patienten wurden in eine
Metaanalyse eingebracht. Mehr als die Hälfte der Informationen stammt
dabei aus Studien, in denen eine cisplatinbasierte Chemotherapie
eingesetzt wurde. In dieser Gruppe konnte das relative Sterberisiko im
Vergleich zur alleinig bestrahlten Gruppe um 13% reduziert werden.
Dies entspricht einem absoluten Überlebensvorteil von 4% nach 2 Jahren
und 2% nach 5 Jahren. Obwohl dieser Unterschied gering ist, wird heute
folgerichtig die Kombination einer radikalen Strahlentherapie mit einer
cisplatinbasierten Chemotherapie international als Standardbehandlung
beim inoperablen lokal fortgeschrittenen nichtkleinzelligen
Bronchialkarzinom empfohlen [10].
4) Es gibt weitere Zulassungsstudien und Studien in Kombination mit
Radiochemotherapie, für die aus Analogschlüssen zu erwarten ist (siehe
vorstehend), dass sich die Überlebenszeiten nochmals verbessern
könnten, z.B.:
Der Serviceseite der „National Instituts of Health“ [11]
zufolge läuft in den USA die Rekrutierung von Patienten für eine Phase
III-Zulassungsstudie mit Irinotecan. (SWOG - Protokoll-ID: SWOG-S0124, CTSU):
A Phase II/III Randomized Trial Of Two Doses (Phase III-Standard Vs.
High) And Two High Dose Schedules (Phase II-Once Vs. Twice Daily) For
Delivering Prophylactic Cranial Irradiation For Patients With Limited
Disease Small Cell Lung Cancer [12], Clinical Trial Number: 03-607.
Und
das Zitat aus der Aufbereitung:
Die randomisierte Phase-III- Studie in den USA (SWOG, Sponsor: NCI und
Pharmacia/Pfizer) wird nach Planung 620 Patienten rekrutieren. Auf der
ASCO-Tagung in diesem Sommer - Juni 2003 - wurde die erste
Interimsanalyse zur „Safety“ im Rahmen eines Posterbeitrages
vorgestellt. Zu diesem Zeitpunkt waren ca. 340 Patienten eingebracht
worden (nach ca. 1 Jahr Rekrutierung – April 2002 bis April 2003).
Es ist also davon auszugehen, dass circa Ende 2004 bzw. Anfang 2005
abschließende Daten zur Wirksamkeit vorliegen, die dann publiziert und
damit auswertbar werden. Eine zweite randomisierte Phase-III-Studie, die
durch den Sponsor Aventis in Europa und Asien/Pazific durchgeführt wird,
soll 328 Patienten rekrutieren. Bisher sind zu dieser Studie noch keine
Daten auswertbar. Ein Abschluss der Studie ist nach unseren aktuellen
Informationen noch nicht absehbar.
Aus diesem Grunde erhebe ich das Bedenken, dass die Aufbereitung
in ihrem Ergebnis vom Zeitpunkt verfrüht ist, da zwar die
Überlebenszeiten gemäß der Studie von Noda et al. signifikant
ansteigen (12,8 Monate zu 8,9 Monaten 1982-1990). Die ungeklärte
Situation der Todesfälle und das Fehlen von Daten zur Kombination mit
Radiotherapie sollten verbieten, Patienten außerhalb klinischer
Prüfungen zu therapieren.
Ich empfehle daher, die Aufbereitung aus o.a. Gründen
zurückzuziehen.
Mit freundlichen
Grüßen
gez. Harald G. Schweim
[1] Kursive Schrift kennzeichnet Zitate bzw. Auszüge aus solchen.[2]
www.bfarm.de/de/Arzneimittel/offlabel/wiss_aufb/index.php
[3] Abschlussbericht (Stand 12.02.2004, nach der 5. Sitzung der
Expertengruppe Off-Label inkl. formaler Änderungen) [4] Thomas M.,
Baumann M., Deppermann M., Freitag L., Gatzemeier U., Huber R., Passlick
B., Serke M., Ukena D.: Empfehlungen zur Therapie des Bronchialkarzinoms.
Pneumologie 2002; 56: 113-131. [5] Pujol JL; Le Chevalier T;
Douillard JY; Riviere A; Chomy P; Monier A; Mahjoubi M ; Eur J
Cancer 1995; 31A (Suppl 5): S21 AB: 92 8th European Conference On
Clinical Oncology And Cancer Nursing (Ecco), Paris, 29/10-2/11/95. [6] Le Chevalier T; Ibrahim N; Chomy P; Riviere
A; Monnier A; Magherini E; Pujol JL ; Proc Am Soc Clin Oncol 1997;
16(-): 450a AB: 1617 33rd Annual Meeting Of The American Society Of
Clinical Oncology, Denver, 17-20/5/97. [7] DeVore RF; Blanke CD; Denham
CA; Hainsworth JD; Gralla RJ; Koletsky AJ; Savaraj N; Vogel CL; Sarna GP;
Brooks DJ; Petit RG; Elfring GL; Schaaf LJ; Hanover CK; Miller LL ;
Proc Am Soc Clin Oncol 1998; 17(-): 451a AB: 1736 34th Annual Meeting Of
The American Society Of Clinical Oncology (Asco), Los Angeles,
16-19/5/98. [8] Sandler AB; Irinotecan in small-cell lung cancer: the US
experience, Oncology; VOL: 15 (1 Suppl 1); p. 11-2 /200101/. [9] Auszug aus:
D. Ukena et. al. , Highlights der Pneumologie, Atemwegs- und
Lungenkrankheiten, 29, 476, 2003, siehe auch aao. 28, 583, 2002. [10]
Auszug aus: M.Baumann, M.Flentje, P. Drings, Onkologe, 8,
448–461, 2002. [11] www.clinicaltrials.gov
[12] www.protonet.fccc.edu
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